Ironman 70.3 WM in St. George

Die Beine schmerzen, das aufgrund der kühlen Morgentemperaturen angezogene Langarmtrikot klebt am Körper, der Puls hämmert …. mein Bike-Computer zeigt weniger als 10 km/h an, dafür aber 11% Steigung …. Links und rechts der schmalen Straße: Sand und Steppe, dahinter rote Felsen …. neben, vor und hinter mir die angestrengten Gesichter anderer Teilnehmer …. Ich quäle mich durch den Snowy Canyon Nähe St. George im US-Bundesstaat Utah von einer Starthöhe auf ca. 900m bis es dahinten irgendwo auf ca. 1200m Höhe wieder flacher werden soll. Was mache ich hier eigentlich?

Rückblende: Es ist Sonntag, der 26.6., nachmittags. Ein kleines Trüppchen vom Tri-Team Hagen sitzt auf dem zentralen Platz mit den vielen schönen Cafes im Zentrum von Hoorn/Westfriesland. Genau hier war heute (vor-) mittag noch eines der Stimmungsnester der Laufstrecke. Genau dort war ich fett grinsend hergelaufen in dem Wissen, eine neue Mitteldistanz-Bestzeit zu erzielen. Das erste Mal unter 5 Stunden. Ich bin völlig euphorisiert.

Genau hier werde ich aber auch das erste Mal gefragt, was ich denn mache, wenn ich später bei der Slotvergabe einen Platz für die 70.3 WM in St. George angeboten bekomme. Ich lache nur. Das ist ja total unrealistisch…. Als wir später bei der Siegerehrung sitzen und ich mich umschaue, wird mit zum ersten Mal klar, dass es gar nicht so unwahrscheinlich ist. Nicht viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich hierhin verirrt. Und erneut werde ich angespornt, ich solle doch den Slot annehmen, der mir gleich ganz bestimmt angeboten wird. Mir wird mulmig. Schnelle Entscheidungen liegen mir gar nicht. Ich muss mich kurz rückversichern, ob Ronja mich denn ggf. auf eine solchen Tour begleiten würde. Und dann ist meine Altersklasse dran. Die Erstplatzierten wollen nicht. Und dann: ich springe auf und sprinte auf die Bühne. Der Slot ist mein. Nur kurz die Kreditkarte zücken, ein Anmeldeformular ausfüllen. Ich bin dabei. Stolz präsentiere ich die Urkunde…

Zurück im jetzt – vier Monate später. Ich quäle mich durch den Snowy Canyon nach oben. Hinter mir liegen schon 75km auf einer wirklich herausfordernden Radstrecke. Gleich werde ich den höchsten Punkt erreichen. Dann geht es nur noch bergab und die Beine können sich ausruhen. Dann werden nur noch die Bremsen glühen, ich bin ja immer so vorsichtig beim Abfahren.

Los ging es früh am Morgen. Der Wecker klingelte um 4:15. Das Hotel bietet extra für uns Triathleten Frühstück ab 4 Uhr. Wir sind überrascht. Tatsächlich gibt es neben den bekannten Bratkartoffeln, Rührei, Speck, Waffeln und Toast auch Bananen und weiteres frisches Obst. Ich bleibe beim Bewährten. Toast mit Marmelade. Dazu Kaffee und Orangensaft und zum Abschluss frisches Obst und Joghurt. Dann auf zum Shuttle. Der Sand Hollow State Park liegt ca. 30km außerhalb von St. George. Anreise mit dem Auto ist verboten. Die Nutzung der Shuttle ist von Ironman vorgeschrieben. Um 5:30 fährt mein Shuttle. Begleiter dürfen leider nicht mit, so dass Ronja erst um 6:00 das Shuttle nutzen darf, wenn alle Teilnehmer schon vor Ort sind. Da bin ich schon am See angekommen und laufe gerade in die Wechselzone. Es ist stock-dunkel. Die Wechselzone wird mit riesigen Scheinwerfern ausgeleuchtet.

Ich richte mein Rad. Luftdruck scheint ok. Radflaschen anbringen, Rad-Computer aufstecken, Verpflegung in die Oberrohrtasche geben – fertig. Und jetzt? Noch 2,5 Stunden Zeit bis ich starte. Ich schlurfe durch die Wechselzone, stelle mich das erste Mal am Dixie an und setze mich auf die Zuschauertribünen, von denen man die Schwimmstrecke überblicken könnte, wenn es nicht so dunkel wäre. Nach einer weiteren halbe Stunde ist auch Ronja da. Wir sitzen auf der Tribüne und frieren. Es ist eisekalt. Gut, dass wir vor ein paar Tagen noch Mützen und Fleecejacken gekauft haben.

Noch eine halbe Stunde bis zum Start von Iden, Blummenfelt und Co. Über dem See erleben wir einen fantastischen Sonnenaufgang. Eine Blaskapelle spielt die amerikanische Nationalhymne, die Kanone donnert und die Profis starten. Heißt aber auch für mich, dass es noch über eine Stunde bis zu meinem Start dauert. Die ersten Profis kommen an Land und ich mache mich so langsam fertig. Ein letztes Mal aufs Dixie, Neo anziehen und in die Gruppe der Starter mit den gelben Badekappen einreihen, die die Altersklasse der 50-54-järigen kennzeichnen. Dann werden auch wir in den Startbereich geführt. Eine schrecklich gut gelaunte Sprecherin versucht uns in Stimmung zu bringen. „Ich will Eure Hände sehen!“ Mir ist immer noch kalt. Zum Glück stehen wir inzwischen auf dem Teppich. Ich bin sehr, sehr, sehr nervös.

Und dann geht auf einmal alles ganz schnell. Wir dürfen nach ganz vorne. Alle 15 Sekunden werden 10 Starter in den See gelassen. Ein letztes Grinsen, Posen, Winken und dann darf auch ich ins Wasser. Die Temperatur ist mit 17°C angekündigt und fühlt sich ok an. Nach kurzer Zeit muss ich das Tempo reduzieren. Ich bin wohl doch ein wenig zu schnell gestartet. Dann komme ich in den Trott, in dem ich gut bis zum Ende durchschwimmen kann. Ich habe mich außen einsortiert und bleibe dort auch konsequent bis zum Ende. Somit entgehe ich dann auch der ein oder anderen Wasser-Prügelei. Hatten wir in Westfriesland noch mit starken Wellen zu kämpfen, so war hier das Wasser nahezu glatt, nur manchmal durch einige Windböen leicht aufgewühlt.

Schon sind die 1900m vorbei, ich erreiche den Ausstieg und klettere nach 31:20 aus dem Wasser. Das ist eigentlich ganz ok. Ich laufe die Rampe nach oben. Dort angekommen muss ich mich doch wundern. Einige Triathleten liegen mit dem Rücken auf dem Boden und lassen sich von Helfern ihre Neoprenanzüge ausziehen. So etwas ist erlaubt? Ich renne weiter schnappe mir meinen Beutel und ziehe wie gewohnt den Neo am Umkleideplatz aus. Es ist weiterhin ziemlich kühl. Gut, dass ich mir am Vortag auf der Messe noch ein Langarm-Trikot gekauft habe. Allerdings ist es nicht ganz einfach, nass in dieses olle Trikot hineinzukommen. Dann Schuhe anziehen, Helm und Brille aufsetzen, den Beutel packen und einem freundlichen Helfer zuwerfen und zum Rad laufen. Es sind ganz schön viele Menschen hier.

Hinter der Linie, die den Start der Radstrecke markiert gehe ich erstmal ganz an den Rand und klettere aufs Rad. Die Finger sind kalt. Ich zittere. Und auf geht’s. Die Beine fühlen sich gut an. Hinaus geht es aus dem Hollow State Park auf die Straße. Es ist erstmal flach. Ich kann Tempo aufnehmen und mich verpflegen. Dem an der Straße positionierten ersten Fotografen schenke ich ein Lächeln. Nach einem lockeren Einrollen folgt dann die erste Steigung und mir wird das erste Mal warm. Das hält aber nicht lange, denn kurze Zeit später geht es ja auch wieder bergab und ich fröstle wieder.

Auf einer abwechslungsreichen Radstrecke mit anspruchsvollem Profil nähere ich mich St. George. Die Zeit vergeht wie im Flug. Auf dem Red Hills Highway geht es am Pioneer Park vorbei, in dem wir zwei Tage zuvor noch in den roten Felsen geklettert sind. Bis hierhin war mir die Strecke über Radfahren und Besichtigung mit dem Auto schon bekannt. Ich verlasse St. George und kurz vor dem Snowy Canyon geht es auf einer Wendepunktstrecke noch einmal relativ flach hin und her. So kann ich mich auch mal wieder in den Aufleger legen. Dann fahre ich am Kassenhäuschen vorbei in den Canyon und denke, dass er sich ja doch gar nicht so schlimm anfühlt. Zu früh gefreut. Umso weiter ich fahre, umso steiler wird es auch. Nachdem wir in Las Vegas schon keinen Elvis getroffen haben, steht er hier nun am Straßenrand und feuert uns an. Dann habe ich es geschafft. Ich bin oben angekommen und stürze mich in die Abfahrt.

Hinter dem Ortseingang von St. George verlaufen Rad- und Laufstrecke parallel zueinander. Unglaublich, wie viele Läufer da schon unterwegs sind. Ich donnere die Diagonal Street weiter nach unten, durchfahre zwei letzte Kreisverkehre und gelange nach ziemlich genau drei Stunden in die zweite Wechselzone. Ein Helfer nimmt mein Rad entgegen. Ich laufe zum Beutel, wechsle die Schuhe, ziehe Helm und Trikot aus, hänge mir die Startnummer um, schnappe mir Kappe und Laufverpflegung und mache mich auf den Weg auf den letzten Teilabschnitt.

Zwei Mal geht es aus dem Zentrum von St. George hinauf zum Dixie Red Hills Golf Course, über den Golfplatz drüber und wieder runter in den Ort. Hier liegt der Wendepunkt im Vernon Worthen Park. Und gleich zu Beginn hinter der Wechselzone geht es knackig bergauf. Zum Glück steht genau dort Ronja und feuert mich an. Das tut gut. Ich versuche zu lachen und weiter geht’s. Der erste Kilometer liegt nur knapp über 5 min – geht doch. Das Red Bull an den Verpflegungsstationen scheint auch zu helfen und die Eiswürfel unter der Kappe fühlen sich gut an. Weiter vorne biegt der Kurs rechts ab auf den Golfplatz. Ab dort geht es dann bestimmt wieder nach unten. Ich biege um die Ecke und blicke auf den Pfad, der sich kurvenreich nach oben windet. Damit hätte ich nicht gerechnet. Ist zumindest auf der ersten Runde ganz gut laufbar, auf der zweiten lege ich hier meinen langsamsten Kilometer hin. Mitten auf dem Golfplatz ist wieder ein Fotograf positioniert, also lächeln und vielleicht noch mal Tempo anziehen, damit ich auch aufs Foto komme. Zwischendurch verlassen wir die Wege und laufen direkt über die grüne Wiese. Ein krasser Gegensatz zu der sonst so kargen Gegend.

Die erste Runde läuft gut. Ich muss aber doch ein paar Körner lassen und auf der zweiten Runde das Tempo reduzieren. Egal. Insgesamt zeigt meine Garmin 300Hm an und es läuft auf eine Halbmarathonzeit von 1:50 hinaus. Der Zielkanal ist in Sicht. Ich richte meinen Anzug und lasse die Sonnenbrille auf dem Rücken verschwinden. Dann genieße ich den schwarzen Teppich und stürme durch die jubelnden Zuschauer zum Ziel. Schnell noch einen Konkurrenten überholen, damit ich meinen Zieleinlauf auch für mich allein habe. Siegerpose einnehmen – lächeln – geschafft. Die Uhr bleibt bei 5:34 stehen. Ich bin glücklich und geschafft im Ziel angekommen.

Eine Helferin kommt auf mich zu, legt mir ein Handtuch um die Schultern und führt mich aus dem unmittelbaren Zielbereich hinaus. Sehe ich so fertig aus? Ich schaue mich um und sehe, dass ich zumindest nicht der Einzige bin, der begleitet wird. Mir wird Wasser und Gatorade gereicht. Ich erhalte meine Medaille und eine Kappe. Dann werde ich Richtung Fotograf entlassen. Noch mal lächeln für das Siegerfoto, dann schleiche ich mich an der riesigen Schlange für die Zielverpflegung vorbei. Da habe ich jetzt keinen Nerv mehr zu. Am Ende der Verpflegungstische wird Pizza gereicht. Da steht kein Mensch. Also schnappe ich mir eine Schale mit zwei Stücken Pizza und eine Cola und setze mich auf den Bordstein. Schmeckt total gut. Ich bin fertig, werfe meine Abfall weg und gehe zum Ausgang des Zielbereichs. Dort wartet Ronja auf mich. Ich freue mich schon auf das Bier im heißen Whirlpool am Hotel ….